Berufsbild Kampfchoreografin

Ich nenne mich Kampfchoreografin. Aber was genau macht eine Kampfchoreografin eigentlich? Im folgenden Text möchte ich über das Berufsbild Kampfchoreografie und die Arbeit als freischaffende Künstlerin in einer Nische sprechen

Erstmal ganz grob: Als Kampfchoreografin bin ich neben der Regie, der Dramaturgie und der Ausstattung Teil des Regieteams. Manchmal sind da noch MusikerInnen dabei, oder Videoartists, oder IntimitätskoordinatorInnen.
Als Teil des Regieteams bin ich meist maßgeblich am künstlerischen Schaffensprozess und Outcome einer Produktion beteiligt und arbeite im Schulterschluss mit den anderen Gewerken. Schließlich geht es um ein künstlerisches Gesamtergebnis. Damit das wirklich gut wird, müssen wir uns abstimmen, was wann wie zu sehen und hören sein soll.

Bild: Jochen Quast

Kämpfen ist Chaos. Kampfchoreographie dröselt das Chaos auf und macht es empfindbar

Als eigenständige Kunstform unterstützt meine Arbeit die Gesamtaufführung. Ich entwickle das Fight Design (Waffenwahl, Waffenführung, Körper-sprache, Figurenarbeit) und webe dieses in eine
Story, also einen für das Publikum nachvollziehbaren dramaturgisch sinnvollen Verlauf szenischer Gewalt ein.

Ich bin als Kampfchoreografin keine Kampfsporttrainerin.

Während man im Kampfsporttraining meist übt, in Gefahrensituationen erfolgreich zu reagieren (Selbstverteidigung), oder sein persönliches Fitnesslevel heben möchte (Breitensport), verlangt die Arbeit als Kampfchoreografin andere – vor allem künstlerische – Fertigkeiten. Ziel meiner Arbeit ist zwar auch die Überwindung eines Gegenübers, allerdings szenisch dargestellt mit einem Partner, wiederholbar, nachvollziehbar, sicher und ästhetisch anspruchsvoll.

Während Kämpfen Chaos ist, versuche ich das gezeigte Chaos aufzudröseln, Text einzuflechten, den Figuren passende Techniken zu geben, kurz: eine Geschichte zu erzählen, die meist mehr ist als: A haut B um. B ist tot. Versteht mich nicht falsch:, A kann B ruhig umhauen, das gehört auch zu meiner Arbeit dazu. Einfache Kämpfe, für die keine große künstlerische Ausnahmeleistung notwendig ist, nenne ich dann liebevoll: Gebrauchsgewalt.

Etwas detaillierter also: Ohne ästhetisches, choreografisches, technisches und dramaturgisches Grundvermögen wäre eine Kampfchoreografie ohne Mehrwert. Kampfchoreografie ist nicht Schaukampf, ist nicht Kampfsport auf der Bühne, sondern eine eigenständige Kunstform. Sie hat ihre eigenen Techniken, Methoden und Formensprache. Als eigenständige Kunstform entwickelt sich die Kampfchoreografie in ihren Techniken und Methoden stets weiter. Waren es vor 50 Jahren meist Degen und Mantel Stücke, sehen wir heute Messerkampf, asiatische Kampfkünste, Akrobatik, Stunts und Schießereien auf der Bühne. 

Bild: Jochen Quast

Welche Ausbildung hat eine Kampfchoregrafin?

Wir KampfchoreorgafInnen sind sehr heterogen ausgebildet. Ich bin beispielsweise studierte Theaterwissenschaftlerin, Germanistin und Bewegungspädagogin. Darüberhinaus komme ich aus dem Kampf- und Leistungssport. Mein Fokus liegt mehr auf einer sinnhaften Kampfdarstellung, auf Closefights, Messerkampf, Contact usw. Ich choreografiere und unterrichte sehr ganzheitlich, das heißt dass die PerformerInnen von mir nicht nur reine Techniken bekommen, sondern durch den gesamten Prozess der szenischen Gewaltdarstellung geleitet werden. Dazu gehören Atemübungen, Mobility, Dehung, Kräftigung und manchmal auch Übungen zum Lösen von Blockaden, oder Schlaghemmungen. I love Pratzendrills.

So arbeite ich in der Kampfchoregrafie

Nun gehen wir davon aus, ich bekomme eine Anfrage von einem Theater für eine bestimmte Produktion. Ich spreche mit der Regie und frage, was sie sich vorstellt und wie viel Zeit wir haben. Ich lerne das Ensemble kennen, mache mich über die am Haus geltenden Vorschriften, Verantwortlichen und rechtlich Interessantes schlau. Dann kommt die Vorarbeit: Gibt es einen Text (außer der Körper), ist es eine Stückbearbeitung, eine Performance, ein klassisches Drama? Wer kämpft warum mit welcher Waffe, was tragen die Menschen und wie sieht die Bühne eigentlich aus?

Und dann geht es in die Praxis: Bevor wir direkt in die Szenenarbeit gehen, checke ich mit einem Grundlagenworkshop den status quo der Körperlichkeiten. Dann erbarbeite ich gemeinsam mit den Darstellenden und der Regie ein an die jeweilige Produktion angepasstes körperliches Vokabular zur Darstellung szenischer Gewalt. Hierfür vermittle ich spezifisches Technikwissen. Gemeinsam mit den Darstellenden und in Abstimmung mit dem Regieteam baue ich dann die einzelnen Kampfszenen. Über die Probezeit steigern wir das Tempo, verschlanken die Techniken, nehmen Specialeffekte hinzu (Blut, Licht) und radieren weg, was unsicher ist.

How to Date a Feminist, Bild: Martin Sigmund

Je nach künstlerischem Konzept unterscheidet sich natürlich die verwendete Formensprache, die zugrunde liegende Kampfkunst, oder das gezogene Bewegungsregister. So choreografiere ich einmal die Komödie „How to date a feminist“ in einem Wrestlingring, oder Shakespeares „Richard III“ als klassischen Schwertkampf mit Bastardschwertern, werde gecastet für Werbefilme mit Lichtschwertern in einem Büroset, oder erarbeite ein actionfilmartiges Theaterstück mit Messerkampf und Bodystunts. Ich lerne nie aus, was ich an diesem Job wirklich liebe.

Und das Vertragliche?

Als Künstlerin arbeite ich meist mit Werk-, Veranstaltungs-, oder Gastvertrag und bin auf Augenhöhe mit KollegInnen anderer Gewerke (Regie, Dramaturgie, Ausstattung, Licht, Bühne, Technik). Ich unterstehe rechtlich meist der Weisungsbefugnis der Bühne. Als Kampfchoreografin gebe ich vor der Premiere die choreografierten Kämpfe frei und verfüge mit der Requisite / Ausstattung / Rüstmeisterei über die verwendeten Waffen. In Absprache mit der Bühnenmeisterei, im Sinne des Arbeitsschutzes, habe ich die Möglichkeit, Kämpfe als unsicher einzustufen und nach eingehender schriftlicher Sicherheitsanalyse entweder durch weitere Proben anzupassen, oder nicht frei zu geben.

Bild: Jochen Quast

 

Der Berufsverband für Kampfchoreografie

Da die Wahrnehmung von Bühnenkampf und Kampfchoreografie in Deutschland meist nicht über Fechten auf der Bühne hinausgeht, gründete ich 2019 den Berufsverband für Kampfchoreografinnen e.V., dem ich als 1. Vorsitzende vorstehe. Hier vernetzen sich freischaffende KampfchoreografInnen und DozentInnen für Bühnenkampf und Intimitätskoordination und arbeiten an Richtlinien und Ausbildungsmöglichkeiten innerhalb der Branche.

How to Date a Feminist, Bild: M. Sigmund.

Was ich neben der Kampfchoregrafie für Theater noch mache

Außerdem unterrichte ich Studierende an staatlichen Hochschulen in den sogenannten Bewegungswerkstätten Kampf und Bewegungspädagogik. Hier steht nicht das reine Vermitteln von Techniken im Vordergrund, sondern vor allem die Szenenarbeit. Ziel meines Unterrichts ist es, Gewalt sicher, ästhetisch anspruchsvoll und „neu“ zu denken.

Neben der Grundlagenarbeit (Fallschule, Waffenloser Kampf, Bodystunt, Kurzwaffen, Langwaffen, Intimitätskoordination, usw.), lernen wir Methoden, Konzepte und Prinzipien zu Partnerarbeit, Raum, Präsenz, Perzeption und körperlicher Figurendarstellung und Verfremdung. Wir erarbeiten eine Kampfchoreografie mit verschiedenen Waffen, Mitteln und Genres, und loten so die Vielfalt von szenischer Gewaltdarstellung aus.

Ganz wichtig ist es mir, dass die Studierenden den Umgang mit KampfchoreografInnen, Methoden zu Consent und Closure, Probenprozesse und den Umgang mit verschiedenen Waffen kennenlernen. Und sie vor allem in der Kernkompetenz der Kampfchoreografie stark zu machen: Eine Geschichte mit ihrer eigenen Sprache für szenische Gewalt sicher, ansprechend und aufregend zu erzählen.

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